Zen durchquert den Intellekt
„Jemand, der die Leere Hand erlernt, muss einem Dinge reflektierenden klaren Spiegel oder einem Laute wiedergebenden leeren Tal gleich, das Innere seines Herzens frei bzw. leer machen, den eigenen Willen sowie schlechte Gedanken ablegen und ernsthaft das erforschen, was er empfängt. Das Schriftzeichen „Leer” der leeren Hand geht einmal hierauf zurück. Sein, das ist Leere. Leere, das ist Sein. Das Schriftzeichen „Leer” der leeren Hand geht ein anderes Mal hierauf zurück.” (Funakoshi Gichin)
Mushin. Das japanische Wort “Mushin” bedeutet „kein-Gedanke” oder „nicht Herz”. Es bezieht sich auf eine Geisteshaltung, welche bezogen auf den Umgang mit einer Kata oder einer Anwendung, erst nach ausgiebiger Übung eintreten kann. Es ist die Fähigkeit, die Bewegungen der Kata auszuführen, ohne dass sich Gedanken dazwischen schalten. Gedanken lenken vom Moment des Geschehens ab und schränken so die blitzschnelle Handlungsfähigkeit ein. Das wiederholte Training kann derart tief in Fleisch und Blut übergehen, dass Aktionen oder Kata wie in einer Art bewegter Meditation ausgeführt werden können – spontan und ansatzlos. Die eigenen Bewegungen erfolgen dann auf den Moment abgestimmt. Sie sind präzise, schnell und die direkte Antwort auf die gegnerischen Aktionen. Es ist, als würde man kurz vorher fühlen, was gleich passiert und als wäre man vorbereitet. Man ist voll im Moment anwesend.
Terminkalender sind die Peitschen der Sklaven von heute
Setzen wir uns praktisch mit der Kampfkunst auseinander, so schalten wir den Alltag ab. Es ist, als tauchten wir in eine andere Welt ein, die positive Wirkungen in uns wecken kann. Wir beschäftigen uns dann, auf sichere Art und Weise, mit theoretischen (Kata) wie praktischen (Bunkai, Kumite) Akten physischer Gewalt. Gefahr und Gewalt hat unseren Körper und unser Gehirn seit hunderten von tausenden Jahren geprägt. Viel länger, als die kurze Era der rasant ablaufenden Modernisierung und der Aufstieg der Wissenschaften nun andauert. Das durchschnittliche Gehirn entwickelt sich jedoch nur in evolutionärer Geschwindigkeit weiter. Vieles, was wir heute an Gewalt erleben, basiert darauf, dass wir einfach noch lange nicht so weit sind, wie wir es vermuten. So wundern wir uns immer wieder. Obwohl wir durchaus eine Wahl haben, schließlich sind wir Menschen, auch mit sehr positiven Eigenschaften ausgestattet. Das moderne Zeitalter bestimmt unser Leben im positiven wie im negativen Sinne. Wenn wir nicht regelmäßig bewusst abschalten, kann ein Gefühl von Rastlosigkeit zu Stress, Überlastung und Krankheit führen – psychisch wie physisch.
Ich beobachte oft Menschen im Zug, Bus oder Flugzeug, die Gelegenheit hätten für eine kurze Auszeit. Sich entspannt zurücklehnen könnten und einfach mal nichts tun. Stattdessen arbeiten sie wie von etwas getrieben weiter. Auf Tablets oder Notebooks, an Tabellen und Diagrammen- weil die Technik es uns ermöglicht 24/7 der Arbeit zu dienen. Andere arbeiten eine Zeitung nach der anderen durch, manchmal zum Unmut des Sitznachbarn, der das raumgreifende Geknittere ertragen muss (wird weniger, aufgrund der Digitalisierung). Es scheint, als wären wir bereits abhängig geworden davon, stetig mit Informationen und Reizen versorgt zu werden. Als würden wir es ohne sie gar nicht mehr aushalten. Bloß nicht zur Ruhe kommen. Denn selbst dann rasen uns Gedanken durch den Kopf, was noch zu tun ist oder getan werden könnte. Menschen sollten nicht in ihr Auto steigen und zum Drängler, Raser oder gar Unfallverursacher mutieren. Warum müssen manche lauter als nötig unterwegs sein, die Gesellschaft und die Natur nerven? Wir sollten uns nicht mehr von Äusserlichkeiten, Egoismen oder Statusideologien beeindrucken lassen. Leider definieren sich zu viele Menschen über zu viel Materielles, anstatt sich selbst zum Wohle der Gemeinschaft weiter zu entwickeln. Zu einem Menschen, der ohne diese Ablenkungen, stark und zufrieden ist und ein Auge für seine Umgebung hat. Werbung und Medien vermitteln zweifelhafte Schönheitsideale und falsche Vorstellungen über das, was man zum glücklichsein braucht. Ein Graus wäre es für die Industrie, würden die Menschen anfangen, mit weniger zufrieden zu sein. Es ist ein Irrglaube, äusserlicher Besitz könnte zu innerer Zufriedenheit führen. Dies gelingt nur von Innen heraus. Was besitzen wir am Ende schon?
Das Leben lässt sich nur begrenzt voraus berechnen und absichern. Ganze Branchen machen sich unsere Furcht vor Ungewissheit und angeblich zu geringer Absicherung zu nutze. Es ist eine große Lebenshilfe, sich nicht allzusehr von negativen Gedanken an die Vergangenheit oder Befürchtungen um die Zukunft beeinflussen zu lassen. Wir können eine positive Lebenseinstellung anstreben, die den immer auch mit Hürden bestückten Lebensweg, mit einer heiteren Gelassenheit gehen lässt. An diese Philosophie erinnern mich die chinesischen Buddhafiguren, welche etwas über ihrem Kopf halten. Sie haben nur das Nötigste bei sich und sind von dicklicher Figur. Man könnte sie nach gängigen Maßstäben als hässlich bezeichnen, wäre man auf Äusserlichkeiten beschränkt. Mir scheint, was sie da mit einem Lächeln über dem Kopf tragen, ist das Gewicht oder die Last der Welt. Selbst sind sie nicht mit Schönheit und materiellem Reichtum gesegnet. Dennoch lächeln sie mit eben dieser heiteren Gelassenheit, die unserer Gesellschaft insgesamt gut tun würde. Erscheint einem jeden das eigene Päckchen und das eigene Glück als das Schwerste und Wichtigste, dann verankern sich Stress, Wettkampf, Hast, Neid, Druck, Egoismus in der Gesellschaft. Viele machen da einfach mit, sie kennen es vielleicht von Klein auf nicht anders. Manche Eltern erziehen ihre Kinder gezielt, andere unbewusst darauf hin, in der Gesellschaft nach oben kommen zu wollen und dabei keine Rücksicht auf andere zu nehmen.
DOJO
In der Kampfkunst geht es um eine Entwicklung. Sich entfernen vom Ego, hin zum gemeinschaftlichen Denken und Nutzen. Die Wünsche und Befindlichkeiten des eigenen Egos und die Probleme des Alltags, sollte man nicht in das Dojo tragen. Das Dojo ist eine Art geschützter Raum, in dem alle frei von dem, was da draußen geschieht zusammen kommen und einfach trainieren. Bereits in der Umkleide sollte man daher ruhiger werden und nicht quasselnd die eigene Last auf die anderen nieder lassen, als träfe man sich zum Mittagsplausch in einem Café. Somit stellt die Umkleide den Zwischenraum von Aussenwelt und Innenwelt dar. Dieser Raum sollte genutzt werden, damit man bereit ist, wenn man die Dojoschwelle übertritt. Dann sollte der Geist bereits ruhig und friedlich sein. Einfältigkeit hat eine sehr positive Seite. Dojo kann überall sein und stattfinden. Der Weg ist das Ziel und sollte genossen werden. Schielt ein Auge ständig auf ein bestimmtes Ziel, bleibt nur noch ein Auge für den Weg. Entlang der Kampfkunstkarriere sollte es nicht hauptsächlich Urkunden, Schwarzgurte oder rot-weiß gestreifte Gurte gehen. Es heißt: „An der Wand sollten Spiegel hängen, nicht viele Urkunden und Diplome“.
Moving Zen
Mit entspanntem Geist durch die Kata. Schafft man es, sich von seinem Ego und den hausgemachten Gedankenbombardements zu lösen, kann man eine Kata ausführen, ohne dabei geistig an momentan irrelevanten Dingen haften zu bleiben. Die antrainierten Bewegungen können dann spontan erfolgen, ohne das man über den Ablauf nachdenken müsste. Man bleibt gedanklich nicht an der zuletzt ausgeführten Technik hängen. Auch sind die Gedanken nicht bereits bei der übernächsten Technik. Es fällt kein Urteil. Kein ärgerliches Gefühl über eine eventuell nicht so gut ausgeführte Technik entsteht.
Das Training hat dann nicht den Sinn, etwas zu erreichen oder Applaus zu bekommen. Um das Gewinnen von Pokalen geht es ebenfalls nicht. Genausowenig geht darum, sich den Ablauf einer Kata nach der anderen anzueignen, als sammle man sie wie Trophäen. Dieses Verhalten begegnet einem häufig, es entspricht dem ehrgeizigen Verlangen nach immer neuen Informationen, Reizen und Herausforderungen. Oftmals ist es dafür noch längst nicht an der Zeit. Beschäftigt man sich mit wenigen Kata und ihrer Prinzipien und Anwendungen zur Zeit, dann wird man sich diese Kata im Sinne der Kampfkunst zu eigen machen können.
Bewegte Meditation. Durch ablenkende Gedanken gestört, sind wir nicht mehr in der Lage, uns der gerade stattfindenden Körperbewegung und Situation hinzugeben. Wir können nicht „im Moment“ sein. Die Energie von Kraft und Ruhe kann nicht wirken. Ein Verlust unserer Aufmerksamkeit und der Effizienz unserer Techniken ist die Folge. Oftmals sieht man es einem Kataausführenden sofort an, wenn dessen Geist beginnt, nicht mehr im Moment zu sein. Auswirkungen auf Haltung und Bewegung werden sichtbar und der Fluss der Kata ändert sich. Blickwendungen verändern sich, entsprechen nicht mehr den imaginären Gegnern und dem damit einhergehenden Schutz des Kinns vor deren Techniken.
Diese Einbindung von geistiger Komponente und komplexen Beweguzngsmustern, bietet kaum eine herkömmliche Sportart. Das kann man Kampfkunst aber auch bewegte Meditation nennen.
Gleiches gilt für den Kampf. Im Kampf wie in anderen Gefahrensituationen ist der Zustand des aufgeräumten Geistes sehr wichtig. Man muss möglichst direkt und bewusst auf das Geschehen (im Moment) reagieren und sich den ständig schnell wechselnden Umständen anpassen können. Im Bezug auf einen Gegner darf sich nicht unbegründet zu Gedanken wie „als nächstes macht er vermutlich dieses oder jenes” verleiten lassen. Die Umwelt wach erfassend, kann man möglichst alle vorhandenen Informationen nutzen, um mit dem Geschehen enstprechend der eigenen Möglichkeiten bestmöglich umzugehen.
Zanshin – dem Gegner Aufmerksamkeit schenken. Dieser Begriff stammt aus der japanischen Schwertkunst, wird aber auch im Karate oft benutzt. Die Bedeutung ist „dem Gegner Aufmerksamkeit zu schenken.“ Zanshin ist ein Zustand größtmöglicher Aufmerksamkeit. Man ist umsichtig und sich seiner Umgebung und auch möglicher Gegner oder Gefahren bewusst und bereit, den Erfordernissen entsprechend zu agieren. Auf einen Gegner bezogen möchte man sich im Klaren sein, welche Möglichkeiten sich aus seiner sowie der eigenen Haltung oder Position ergeben. Man möchte in dem Moment bereit sein, in dem sich der Gegner zu einer Handlung entscheidet und direkt angemessen reagieren können. Auch nach der Handlung sollte Zanshin aufrecht erhalten bleiben. Man sagt daher „nach dem Kampf, ziehe den Riemen deines Helms fest“.
Yadome Jutsu wird die Kunst genannt, durch deren Training ein Schwerkämpfer die Abwehr anfliegender Pfeile übt. Dazu benutzte er ein oder zwei Schwerter und seinen Helm. Anfliegende Pfeile einzuschätzen und die gefährlich werdenden Pfeile rechtzeitig abzuwehren, erfordert Zanshin und Mushin.
Ohne Zanshin nicht vorbereitet. Jemand ohne Zanshin wird nicht spüren, wann ein Angriff unmittelbar bevorsteht oder beginnt. Die Informationen, wann und wie der Gegner wohl angreift, werden dann nicht frühest möglich verarbeitet werden. Wenn der gegnerische Angriff dann startet, wird man ohne Zanshin extra Zeit brauchen, um zu erkennen, was geschieht und zu entscheiden, wie man am besten entgegnet. Dieses Extra an Zeit ist bei einem Kampfbrginn ein echter Nachteil. Man ist darauf angewiesen, dass der Gegner bei seinem Angriff einen Fehler macht. Im schlimmsten Fall wird man vom gegnerischen Angriff völlig überrascht und überrumpelt. Dementsprechend sollte man diesen wachen Zustand trainieren, indem man ihn auch im Umgang mit Kata oder bei Partnerübungen vor, während und nach den Ausführungen einnimmt und aufrecht erhält. Am einfachsten läßt sich das durch ablenkende Gedanken unbeeinträchtigte Beobachten der Umgebung während einer körperlichen Ruhephase trainieren (Meditation).
Pinan – Essenz der Kampfkunst. Die erste Katareihe, welche Karateka lernen, nennt sich „Pinan“ bzw. in moderneren Stilen „Heian“ Kata. Viele ursprünglich chinesische Begriffe mussten um 1920 für das Karate auf der Hauptinsel Japans in konkrete japanische Bedeutungen umgewandelt werden. Dabei änderten sich die ursprünglichen Bedeutungen. So wurde aus „Pinan“ (chinesisch, bleibe sicher)zum Beispiel „Heian“ (japanisch, friedvoller Geist). Die Philosophie hinter dem Begriff „Pinan“ hat jedoch größte Bedeutung für die Kampfkunst. Langfristige Gesunderhaltung von Körper und Geist lässt uns möglichst lange „heil“ heimkehren.
Kurzfristiger betrachtet, sollte man Zanshin immer wahren. Abseits von Situationen körperlicher Auseinandersetzung, hilft es Situationen zu vermeiden, aus denen sich ein Kampf oder Unglück entwickeln könnte. Die meisten Unglücke geschehen, weil Menschen sich fahrlässig in Gefahr begeben oder abgelenkt sind oder Fehlern anderer zu spät erkennen. Der Strassenverkehr ist ein Beispiel. Viele Unfälle könnten vermieden werden, wären die Menschen wacher für den Moment und ihre Mitmenschen unterwegs.
Stelle ich mich so neben einen Ampelmast, dass mich ein von der Fahrbahn abkommendes Auto an den Mast quetschen würde oder stelle ich mich an eine sicherere Stelle? Man kann trainieren, die Umgebung mit einem “wachen” Geisteszustand wahrzunehmen und lernen Gefahren instinktiv zu meiden, ohne das es in eine Paranoia ausartet. Dann ist man wach im Moment und auf natürliche Weise sicherer unterwegs. Man ist sich im Klaren, was passieren würde, wenn der andere unaufmerksam ist. All das ist Teil der Kampfkunst, denn es geht immer darum, heil nach Hause zurück zu kehren.
Hoshin. Hand in Hand mit Zanshin geht das “Hoshin”. Es gibt Kata wie die Pinan Nidan (Heian Shodan), die sich sehr ausgiebig mit Gegnern beschäftigen, die direkt von hinten in den Rücken angreifen. Hier darf man nicht den eigenen Geist auf den aktuellen Gegner, den man gerade nach angegriffen hat beschäftigen, sondern muß ein Gespür für das, was sich hinter der eigenen Person abspielt entwickeln. Es gilt, sich Methoden anzueignen, wie man sich direkt, ohne die geringste Verzögerung nach 180 hinten umorientieren kann. Es wird oft gesagt, nicht zu kämpfen und dennoch nicht zu verlieren, sollte das höchste Ziel des Kampfkünstlers sein. Die sicherste Form der Selbstverteidigung ist, nicht (mehr) da zu sein, wenn der Angriff kommt oder einen Konflikt gar nicht erst zustande kommen zu lassen. Zanshin hilft auch, Gefahren frühzeitig zu erkennen, vorgewarnt zu sein und sie möglicherweise gänzlich umgehen zu können. So gibt es Menschen, die eine Gefahr schon vorauszuahnen scheinen, obwohl andere Menschen zur selben Zeit nicht den Hauch einer Gefahr spüren. Erstere Menschen reagieren im kritischen Moment dann sehr viel angemessener als die anderen und werden nicht so leicht überrascht. Sie hatten ihr Umfeld einfach besser und umfangreicher wahrgenommen als andere. Eine Art 6. Sinn kann sich vielleicht als höheres Ganzes ausbilden, wenn man alle 5 natürlichen Sinne umfassend nutzt und einen klaren Kopf bewahrt.
Absichtsloses Handeln. Wenn jemand etwas nach einer Person wirft und diese ohne jeden Gedanken diesen Gegenstand fängt oder reflexartig ausweicht, dann hat diese Person absichtslos gehandelt. Die Handlung geschah nicht über den Umweg des Bewusstseins, musste nicht durch dieses initiiert werden. Die Handlungentstand spontan, natürlich und sehr schnell. Erst danach wird man sich meist bewusst, dass man gerade sehr schnell auf etwas Unvorhergesehenes reagiert hat. Weil sie „Zanshin“ wahrte, hat die Person den auf sich zu fliegenden Gegenstand schnell erkannt. Weil sie „Mushin“ wahrte, konnte sie dem Gegenstand rechtzeitig fangen oder ausweichen. Die Person hat eigentlich nur das in dem Moment „Selbstverständliche“ getan.
Absichtsvoll (bewusst) eingesetzte Kraft offenbart dem Anderen das Ziel oder die Intention der Aktion. Das ist für trainierte Menschen genauso leicht zu lesen wie das Ausholen, was die Absicht eines Schlages verrät. Ist man ohne eigentliches Wollen und kommen die Aktionen spontan, erkennt der Gegner im Idealfall keine Zielsetzung oder Absicht. Spontane Aktionen lassen sich vom Gegner viel schlechter einordnen als solche, für die man sich vorher schon bewusst entschieden hat. Für den Samurai war es eine der grössten Herausforderungen, die „einfache“ Bewegung des Ergreifens des Schwertgriffs gefolgt vom Schnitt derart absichtslos erscheinen zu lassen, dass diese erste Bewegung für den Gegner nicht bedrohlich erschien und er die Gefahr somit zu spät erkannte. Es ist bereits schwer, diesen Zustand beim Ausführen einer Kata zu erreichen, also ohne reale Bedrohung. Noch viel schwieriger wird es aber, diese Fähigkeit dann auch im Kampf zu nutzen.
Oft taucht in diesem Zusammenhang die Frage auf “Soll man nun auf “alles” vorbereitet sein?” Im Grunde sollte man auf “Nichts” vorbereitet sein. Dann wird man auf alles direkt, spontan und flexibel reagieren können. Sich in einem nicht planbaren Kampfverlauf der jeweiligen Situation anpassen zu können, ohne dabei Nachdenken zu müssen und nur das Notwendige oder Selbstverständliche zu tun, ist ein Indikator für den Fortschritt in der Kampfkunst. Das Notwendige oder Selbstverständliche beschreibt dabei die Aktionen, die helfen.
“Oka“ ist ein japanischer Begriff, welcher für die Fähigkeit benutzt wird, sich aus einer Art Vogelperspektive in der momentanen Situation wahr zu nehmen. Man verlässt im Geiste die Situation (das Wirrwarr der eigenen Lage) und steht damit gewissermaßen über der Situation. Man könnte dazu auch „Beobachterauge“ sagen. Der Begriff stammt vom Go Spiel und heißt dort „okame-hachimoku“ genannt. Das Gesamtbild der Situation wird deutlicher. Eine ausgezeichnete Taktik für das gesamte Leben, wenn man sie beherrscht.
Gichin Funakoshi:
“Jede Art von Unglück geschieht, weil der Mensch in der entsprechenden Situation nicht richtig konzentriert ist oder weil ihm die entscheidende Intuition fehlt, durch die er die Lage richtig einschätzen könnte. Durch die Übung des Karate kann man sich eine Haltung angewöhnen, in der man immer richtig konzentriert ist. Dies ist mehr oder weniger eine Sache der Übung, und jeder Mensch, der wirklich will, kann das lernen. Zuviel Denken und Grübeln über das Leben, über Verlorenes und über das, was hätte sein können, ist der schlimmste Feind für die Konzentration. Man sollte sich selbst betrachten und herausfinden, welches die wahren Ursachen für persönliche Fehlschläge jeder Art sind. Die Antwort liegt immer in einem selbst. Wenn man sicher sein will, daß alles mißlingt, braucht man nur immer unachtsam zu sein.
„Die Besonderheit des Karate liegt darin, daß Karate genau dann Karate ist, wenn man es nicht zum Wettkampf machen oder ökonomisieren kann. Das Wesen des Karate offenbart sich gerade dann, wenn man keine Schutzkleidung oder Wettbewerbe dafür schafft.“