…One day at a martial arts demonstration there was a bo routine performed similar to what I was practicing. I heard kendo students criticising the bo style, saying that it was too stiff, too ineffective, and I agreed with them. Considering how wide-spread bo is in our culture I figured that there must be some other, deeper style.
(T. Oshiro)

 

Oshiro Toshihiro (9.Dan Shorin Ryu)

Kobudo ist die moderne Bezeichnung für den „alten Weg der Waffen“ und betont die Verbindung des Kobujutsu (Jutsu:  technische Anwendung) mit dem Do (geistiger Weg-Gedanke). Der Weg-Gedanke wurde in Japan auch mit Tätigkeiten gänzlich friedfertigen Charakters, wie beispielsweise dem Teezubereitungsritual (Chado) verbunden. Kobujutsu ist der kämpferische Umgang mit häuslich bzw. land­wirt­schaftlich anmutenden Gegen­ständen. Die Hauptwaffen sind der Langstock (Bo) und die Stahlgabeln (Sai). Das Yamanni oder Yamane Ryu ist der wohl ursprünglichste Stil des okinawanischen Kobudo. Oshiro Toshihiro erlernte diesen Weg zum großen Teil in privater Weitergabe durch Kishaba Chogi Sensei und entschloss sich später die Kunst an ernsthaft Interessierte weiter zu geben. Das Yamanni Ryu galt, aufgrund seiner stark eingeschränkten Anzahl Praktizierender, eine Zeit lang bereits als ausgestorben. Selbst Oshiro war sich damals lange Zeit nicht bewusst, dass er eine ganze Weile der einzige private Schüler seines Meisters Kishaba Chogi war. Das öffentlich zugängliche Training Unterschied sich in der Detailtiefe vom privaten Training. Innerhalb der Chinen Familie wurde nicht nur das Yamanni Ryu weiter gegeben, sondern ebenso Shorin Ryu Karate. Ableitungen des Yamanni Ryu verbreiteten sich bereits Anfang des 19.Jhdt als abgewandelte Kobustile bis in alle Welt. Diese besitzen jedoch, aufgrund des Unterrichts in größeren Gruppen, teils erhebliche Vereinfachungen. Das Yamanni Ryu ist dem Kampf mit einer Klinge am Bo oder auch dem Schwert verwandt und berührt damit auch den Bereich Klingenkunst der Samurai. Der bekannte Samurai Takeda Shingen (1521 – 1573) war beispielsweise auch Meister des Speers. Die variablen technischen Prinzipien der Yamanni Techniken sind anwendbar, egal ob der Bo vorne Stumpf ist, eine Speerspitze hat oder eine Klinge trägt. Der stumpfe Bo stellt lediglich die ungünstige Ausgangslage dar, wo die Klinge z.B. im Kampf verloren gegangen ist. Entsprechend der Eigenschaft des Bo (mit oder ohne Klinge oder Speerspitze), sind die Ausführungsarten der Techniken flexibel. Manche Kobustile übernahmen lediglich die Art des Schlagens mit dem stumpfen Bo. Die schneidenden Techniken stellen jedoch einen ganz wesentlichen Aspekt des Spektrums dar.

Lehrgang mit Oshiro Shihan, Thema Yamanni Ryu Bo Prinzipien: VIDEO

 

Die Waffe und ihre Bewegung verbergen – Kakushi Buki.

Aus vielen Haltungen des Yamanni Ryu kommt das mit der (imaginären) Klinge bestückte Ende des aus hinter dem Körper versteckten Haltungen überraschend schnell und weit vor. Die Handhaltung teilt den Bo also nicht stets in drei gleichlange Teile, sondern wandelt sich ständig. Auch hier liegt ein Unterschied zu anderen Kobudoarten, die ihre Reichweite stark einschränken. Selbst ohne ein mit einer Klinge bestücktes Ende zu haben, ist es von Vorteil, wenn man den eigenen Körper möglichst weit aus dem Kampfgeschehen heraus halten kann und die Waffe vor schickt. Somit kann auch die Länge und Beschaffenheit (mit/ ohne Klinge) des Bo schwerer vom Gegenüber eingeschätzt werden. Das Verbergen der eigenen Waffe(nlänge und -beschaffenheit) ist ein ganz wesentlicher Aspekt der Kampfkunst. Das Prinzip der verborgenen und verborgen gezogenen Waffen wird Kakushi Buki genannt. Entsprechende Techniken und Bewegungsprinzipien durchziehen das Karate wie auch das Yamanni-Ryu. Dies gilt ganz besonders für die Sai, die komplett verborgen getragen werden können. Aus dem Verborgenen werden sie dann direkt in die Technik vor gezogen. Diese Sai waren ursprünglich nicht so massiv und gross, wie die heute verbreiteten Modelle und konnten äusserst dynamisch eingesetzt werden. Ein und dieselbe Saitechnik dient, je nach Situation, dem Schlagen, Blocken oder Werfen. Es bleibt die gleiche Bewegung. Dazu gesellen sich Techniken zum Stoßen mit dem Knauf (Kashira) oder zum Stechen mit der langen oder den kurzen Spitzen und zum Verhebeln der Arme des Gegners. Die Ausholbewegungen der Grundschule verbergen die Waffe hinter dem Arm.

Der als eine der Hauptfiguren in der Entwicklungsgeschichte des Karate bekannte Meister Sakugawa Kanga nimmt eine der wenigen bekannten Hauptrollen in den Anfängen des okinawischen Kobudo ein. In Anerkennung seines Könnens im Tode (China-Hand) wurde er auch »Tode« Sakugawa genannt. Es liegt nahe, dass Sakugawa das Tode (Karate) und das Kobudo motorisch aufeinander abgestimmt hat (siehe Beschreibung Hiki Te). Zur Satonushi Schicht zählend, gehörte er zur Oberschicht der okinawanischen Bevölkerung. Nachdem Kushanku (Kata Kanku Dai/ Sho, Kushanku) um 1750 in Ryu Kyu ankam, wurde Sakugawa dessen Schüler.
Sakugawa lernte vermutlich bei einem Mönch (Takahara), welcher beim Bo Experten Matsu Higa  in die Schule ging. Der Mönch brachte Sakugawa mit Kushanku zusammen, welcher sich im chinesischen Bereich Ryu Kyus Kumemura aufhielt. Sakugawa besuchte China vermutlich mehrmals, um seine Fähigkeiten zu vertiefen. Die chinesische Kampfkunst, welche ihn beeinflusste, stammt aus einem anderen Gebiet und hat unterschiedliche Ansätze, als jene, welche die Shorei Linie (Goju Ryu) auf Okinawa formte. Zu seinen Schülern gehörte auch Chatan Yara. Ein weiterer Schüler Sakugawas, Chinen Kana, begründete die Kobujutsurichtung, welche im Yamanni Ryu gipfelte.

Chogi Kishaba meisterte als Schüler des Familienstilerben Masama Chinen das Yamanni Ryu. Insbesondere die innere Körperarbeit und die daraus resultierende äußere Dynamik ist besonders ausgetüftelt. Das Erlernen einer Kampfkunst erfordert etwas Talent, viel Training und schließt Unterricht in größeren Gruppen eigentlich aus. Chinens Großvater Sanda Chinen verdankt das Yamanni Ryu seinen Namen. Er wurde auch Sanda Yamanni Chinen genannt. Sein Haus lag am Fuße eines Berges. Auch hierauf bezieht sich der Ausdruck „Yamanni“ bzw. „Yamane“. Lange Zeit war Oshiro Shihan der einzige Schüler, den Kishaba privat auf seinem eigenen Anwesen unterrichtete. Kishaba bestimmte einen weiteren seiner wenigen Schüler, Kiyoshi Nishime, um zusammen mit Shihan Oshiro das Yamanni Ryu Kobujutsu in der Welt zu verbreiten. Letztere gründeten dafür den Verband Ryukyu Bujutsu Kenkyu Doyukai (RBKD), der sich der Erforschung und Weitergabe des traditionellen okinawanischen Karate und Kobudo widmet.


Oshiro Shihans einzigartige Forschung und Beziehung zum alten Karate.

Oshiro Toshihiro (9.Dan Shorin Ryu)

Als das Karate in allerlei Facetten sich längst über die ganze Welt ausbreitete, war das Yamanni Ryu aufgrund der quasi familiären Weitergabe der Technik keinen Vereinfachungen unterworfen. Auch in der Entwicklung der Shorin Ryu Karate Linie sind Sakugawa und Matsumura die bedeutsamsten Akteure. Die Chinen Familie praktizierte Yamanni Ryu Kobudo und ebenfalls Shorin Ryu Karate. Shihan Oshiro hat über das Yamanni Ryu Rückschlüsse auf die alten Bewegungsmuster des Shorin Ryu Karate gezogen. Er studierte Karate bei Meistern wie Shoshin Nagamine und Masao Shima. Ihm gelang es durch biomechanisches Forschen und intensivste Recherchen, eine mit der Struktur der Karate Kata und den Gegebenheiten eines Kampfes stimmige und unglaublich effektive Bewegungs- und Technikausrichtung zu entwickeln. Er benannte seinen Stil nach Masao Shima in „Shima Ha Shorin Ryu Karate“.

 

 

 

Kobudo – eine Bauernkunst?

Eine Art kämpferischer Bo-Tanz (Bo-Odori) wurde auch in Teilen der landwirtschaftlich tätigen Bevölkerung Okinawas ausgeübt. Dadurch entstand ein weit verbreitetes Gerücht, nach dem sich okinawanische Bauern organisiert und ausreichend im Waffenkampf übten, um sich sogar gegen Samurai verteidigen zu können. Für ein derartiges Training hatte diese hart arbeitende Bevölkerungsgruppe jedoch kaum Zeit. Zudem war gutes Training in der Kampfkunst oftmals teuer oder wurde nur innerhalb von Familien, innerhalb des Samurai Standes oder nur an ausgewählte Schüler weitergegeben. Zum Studium der Kampfkunst hatten idR. nur Angehörige höherer Gesellschaftsschichten Geld, Zeit und die notwendigen Beziehungen. Die Weitergabe der unfragmentierten Kampfkunst blieb somit weitgehend innerhalb der Adelsschicht, zu dessen unterer Ebene auch die Samurai gehörten. Es liegt auf der Hand, dass sich keine schlagkräftige Bauernarmee ausbilden und organisieren kann, die gegen Samurai standhalten konnte, welche ihr Leben ganz dem Kampf widmeten. Die bäuerliche Bevölkerung pachtete die zu bewirtschaftenden Felder. Einige Pächter konnten sich als Angehörige der unteren Adelsschicht das Kampfkunsttraining leisten. Vermutlich haben manche Bauern Gelegenheit gehabt, über ihre Pächter mit dem Kobudo in Kontakt zu kommen. Aus diesen Fragmenten eigneten sich manche Bauern dann Techniken zur Verteidigung an und gaben dieses Wissen weiter. Auch das tänzerische Bo-Odori dürfte sich hieraus entwickelt haben und wurde zu festlichen Veranstaltungen vorgeführt.

 

Die Hauptwaffen – Bo und Sai.

Von den bekannten Kobudowaffen trainieren wir intensiv mit dem hölzernen Langstock Bo und den aus Eisen/ Stahl hergestellten Sai. Tonfa nehmen eine Nebenrolle ein. Nunchaku oder Kama werden bei uns nicht gelehrt, da ihr direkter Nutzen für das waffenlose Karate nicht so groß ist. Der Bo ist die Hauptwaffe des Kobudo und kaum ein okinawischer Meister trainierte früher neben dem Karate nicht auch noch den Umgang mit dem Bo. Bo und Sai sind in ihrer Beschaffenheit den Möglichkeiten von Körper und Gelenken des Lernenden angepasst, um die sehr fließende Bewegungsdynamik verwirklichen zu können, die das Yamanni Ryu ausmacht. So kann die eigene Körperdynamik und Motorik effektiv trainiert werden und direkt weitere Fortschritte im Karate ermöglichen. Zur Hauptwaffe des Kobudo auf Okinawa zählte bereits früh der Langstock (ca 183cm) „Bo“, welcher dem Speer oder der Naginata entspringt. Die anderen Waffen, wie Kama, Nunchaku, Tonfa (Tuifa) usw., spielten eine untergeordnete Rolle. Dies sieht man auch daran, dass traditionelle Kata nur für den Bo vorhanden sind. Diese Kata gehen dann auch bis auf Meister Kanga »Tode« Sakugawa (ca 1730-1815) zurück (z.B. Sakugawa no kun). Die Kata der anderen Kobudowaffen sind vergleichsweise jüngerem Datums. Diese Erkenntnis bekräftigt die Bedeutung, die speziell dem Bo zugemessen wurde. Sai wurden bereits früh in China als Waffe eingesetzt und kamen vermutlich aufgrund der frühen Handelsbeziehungen beider Länder nach Okinawa. Eine These zu den Ursprüngen des Karate und Kobudo auf Okinawa geht von einer Übersiedlung einiger chinesischer Familien aus, welche dann ihrerseits bedeutende Impulse auf die bestehende, einheimische Kampfkunst lieferten.

Durch das sehr eng am Körper stattfindende Handling der Kobudowaffen wird der eigene Körper geschützt und der benötigte, seitliche Bewegungsradius klein gehalten. Die Regel des Yamanni Ryu, dass der eigene Körper dem Bo auf seinen engen Bahnen nie im Weg stehen darf, erfordert die Entwicklung eines sehr geschmeidigen Körpers. Ein Mittel um den Körper an solch ein Handling zu gewöhnen, ist das Training nahe an einer Wand. Dies gilt für das Kobudo und das Karate gleichermaßen. Wie tiefgreifend sich dieser Grundsatz auf die Körpermotorik auswirkt, erkennt man schnell, wenn man mit dem Üben beginnt. Der starre Bo wird sich mit der Zeit jedoch mehr und mehr leicht und flexibel anfühlen. Seine Bewegung wird im Idealfall, ohne ausschweifende Armbewegungen benutzen zu müssen, äußerst dynamisch durch den eigenen Körperkern angetrieben. Diese Dynamik ist typisch für das Yamanni-Ryu und benötigt intensives Training.

Die Wand gibt nicht nach, der Körper muss es lernen.

Hartes Holz gab es auf Okinawa zur Genüge, Stahl war schwierig zu beschaffen. Die im Yamanni-Ryu verwendeten Bo sind unkonisch (haben also einen gleichbleibenden Durchmesser), denn es heißt „der Bo soll zwischen den Händen leben“. Konische Bo werden dagegen in den meisten Stilen immer gedrittelt gehalten. Welches Ende des Bo länger und welches kürzer gehalten wird, wird im Yamanni-Ryu je nach den Erfordernissen der Situation fliessend verändert. Der Bo wird nicht permanent in drei gleichlange Teile gedrittelt. Durch das fliessende Handling des Bo kann dieser in Schlag-, Stoß- und Stichtechnik wie ein Schwert, eine Hellebarde oder ein Speer eingesetzt werden. Mit einer aufgesteckten Klinge lassen sich die Schnitttechniken des Kobujutsu veranschaulichen. Ohne Klinge taugen die Techniken jedoch ebenfalls noch für den Kampf. Ein weiteres Prinzip des Yamanni Ryu besteht dain, dass kein Schlag in einer Art eingerasteten Endphase endet. Der Bo wird sofort wieder einsatzbereit für eine Folgetechnik zurückgezogen oder weiter zur nächsten Technik geführt. Blockt der Gegner einen Schlag erfolgreich, ergeben sich fließend neue Möglichkeiten den Angriff fortzuführen ohne selbst eine Öffnung zu bieten. Durch den Umgang mit dem Bo wird nicht nur die Entwicklung einer besonders flinken und weichen Beinarbeit unterstützt, auch die Faustführung bei Karatetechniken wird positiv beeinflußt. Ein sehr flexibler Körper entwickelt sich, wenn man den starren Bo zu beherrschen lernt.  Durch das Waffentraining wurde zusammen mit dem kampfkunsttechnischen Aspekt einhergehend eine Art “Gerätetraining” für die Ausbildung und Kräftigung der Muskeln und Gelenke geschaffen. Auch die Greifmuskulatur oder »Fingerkraft« wird gestärkt.

Im Yamanni Ryu verwendete Sai sind nicht so massiv wie in anderen Kobudostilen üblich. Massive Sai, wie sie heute als Standardausführung in den Kampfsportgeschäften erhältlich sind, wurden früher vermutlich eher für das sogenannte »Hoju-Undo« (Krafttrainig) verwendet, jedoch nicht für das Kampftraining. Im Kampf sollten sie leicht zu verbergen und blitzschnell einzusetzen sein. Diese Art von Sai ist also eher leicht und schlank gehalten, was einen sehr dynamischen und flexiblen Umgang erlaubt, ohne dem eigenen Körper durch Überbelastung der Gelenke zu schaden. So kann man durch Saitraining kräftige und flexible Handgelenke und Arme entwickeln. Die Flexibitlität und die daraus nutzbare Kraft der Handgelenke und Unterarme wird verstärkt. Saitraining wirkt sich somit positiv auf die Effektivität von Schlag- und Blocktechniken des Karate aus. So können auch bei kurzen Wegen der Arme effektive Techniken erfolgen. Eine Überreizung von Gelenken und Muskeln tritt beim Umgang mit diesen Sai somit trotz dynamischer Bewegungsart nicht auf. Die Techniken der Sai Kata zeigen, wie die Sai unsere Arme und Fäuste verstärken, schützen oder verlängern können. Ursprünglich waren Sai teilweise mit spitzen Enden versehen. Der Großteil der Techniken lässt sich sowohl als Schlag-, Block- oder Wurftechnik einsetzen. Durch Wurftechniken kann der Gegner bereits aus sicherer Entfernung verletzt oder abgeschreckt werden. Fast jede Saitechnik kann als Wurftechnik ausgeführt werden. Besonders, wenn sich ein bewaffneter Gegner näherte, war sicherlich jede Chance willkommen, den Kampf frühzeitig entscheiden zu können. Daher rührt auch der Brauch, drei Sai mit sich zu tragen. So hatte man auch nach einem Wurf noch für jede Hand eine Sai.

 

Kobudo und Karate,  engste Verwandte.

Das Hiki Te beschreibt die in der Karate Grundschule, den Kata und bei vielen Partnerübungen zur Hüfte zurückgezogene Faust, während der andere Arm eine Technik ausführt. Oft wird diese Bewegung als für die Schlagkraft notwendig oder für überflüssig erklärt. Dies geschieht aus mangelndem Hintergrundwissen. Die vorschnellende Faust sollte auch ohne Rückzugbewegung schlagkräftig eingesetzt werden können, auch unabhängig von der Entfernung zum Ziel. Um dem Hiki Te auf die Spur zu kommen, muss man bedenken, dass wir dem Gegner nicht zeigen wollen, wann und womit wir unseren Angriff beginnen. Daher können wir nicht zuvor eine boxerartige Armhaltung wie in einem Wettkampf einnehmen. Gerade ein wettkampfartiger Schlagabtausch ist in einer Notsituation zu vermeiden. Das Einnehmen einer boxerartigen Haltung, würde dem Gegner verraten, dass wir zu Gegenwehr und Angriff bereit sind. Somit verlieren wir den in der Selbstverteidigung wesentlichen Überraschungsmoment. Wir müssen also in der Lage sein, aus jeder Armhaltung, z.B. eben mit herunterhängenden Armen direkt den Fauststoß führen zu können. Diese wichtige Bewegung startet dann mit der Faust nahe der eigenen Hüfte und erklärt den Start vieler Techniken, die im Karate von der Hüftregion ausgehen. Haben wir eine Waffe im Gürtel stecken (z.B. Sai oder Kubotan), dann müssen wir ebenfalls von der Hüfte ausgehend, die Waffe ziehen und direkt einsetzen können. Während die eine Hand zur Waffe greift, führt die andere, leere Hand derweil bereits eine Technik aus. Für die Anwendung der Techniken einer Kata stellt die Hiki Te Hand einen Platzhalter dar, der alle möglichen, situationsbedingten Rollen einnehmen kann. Somit ist die Hiki Te Hand für den flexiblen Einsatz und der Unterstützung des Technikprinzips zuständig. In einer Anwendung leitet sie den Angriff ab, in einer anderen hilft sie bei Hebel, Kontrolle, Zug oder Wurf.

Hiki Te als Griff zur Waffe

Hiki Te im Kobudo. Das Bewegungsmuster eines Karate Fauststoßes entspricht dem eines fortgeschrittenen Bo Schlages/ Stichs im Yamanni-Ryu. Die Zusammengehörigkeit des Karate mit dem Kobudo wird jedoch nicht nur hier besonders offensichtlich. Hiki Te ist das grundlegendste Prinzip im Bo Handling überhaupt. Wenn Menschen schlagen (ob mit oder ohne Bo), achten sie meist zu sehr auf den vorgehenden Arm. Dadurch spannen automatisch bremsende Muskeln zeitgleich mit den beschleunigenden Muskeln an. Die beschleunigenden Muskeln arbeiten somit gegen den Widerstand der bremsenden Muskeln. Eine mehr oder weniger geschobene Technik, die ihre Beschleunigung erst über die Zeit ihres Weges aufbaut, ist die Folge. Beim Beispiel des Zuki arbeiten die Strecker gegen die Beuger. Sehr wichtig ist eine plötzliche Beschleunigung. Bei Bo oder Sai Techniken erkennt man am Geräusch der Waffe durch die Luft und am Zeitpunkt des Einsetzens des Geräusches, wie gut oder schlecht die Beschleunigung der Technik ausgebildet ist. Der Zeitpunkt, wann das Geräusch einsetzt, verrät wie plötzlich die Beschleunigung stattfindet. Optimaler Weise beginnt das Geräusch mit dem Beginn der Technik und nicht erst nachdem sich die notwendige Beschleunigung aufgebaut hat (z.B. auf dem halben Weg zum Ziel). Ohne richtig ausgeführtes Hiki Te mitsamt der zugehörigen Körperarbeit, ist keine plötzliche Beschleunigung des Eiche-Bo möglich. Manche verwenden sehr leichte Hölzer für ihren Bo. Dies führt jedoch dazu, dass sich der Bo viel zu leicht bewegen lässt, was einer gut entwickelte Motorik nicht förderlich ist. Das Training der Waffen fördert das körperliche und geistige Verständnis für das waffenlose Karate. Karate und Kobudo bilden auf diese Weise eine symbiotische Einheit. Von vielen der um 1920 aktiven Karatemeister weiß man, dass diese ebenfalls den Umgang mit dem Langstock (Bo) trainiert haben. Die symbiotische Einheit des Karate und Kobudo ist eines der markantesten und wesentlichsten Merkmale der okinawanischen Kampfkunst. Hierzu gehört eine bemerkenstwerte Idee, welche über das Kobudo den Körper für die Anwednungen der Karatetechniken stärkt..

 

In die Kata eingebettetes Bunkai.

Die Kata des Yamanni Ryu bestehen zum großen Teil aus Bewegungen, die man mit den entsprechenden Waffen, aber ebenso unbewaffnet ausführen kann. Die Motorik ist so aufgebaut, dass Sai oder Bo automatisch auch als „gegnerische Waffe“ oder „Gegner“ selbst fungieren. Sie kommen auf uns zu und unser Körper muss sich beim Vorgehen entsprechend anpassen, um nicht getroffen zu werden. Ein Beispiel ist die Spitze der zurück kommenden Saigabel (Hiki Te) bei Ausführung eines Kashira-Zuki mit Sai im Vorwärtsgehen. Die Spitze wird nicht um den Körper herum geführt, sondern der Körper muss schmal vor bewegt werden. Dies fördert das Bewusstsein für die Körperkontrolle hinsichtlich Seichusen und Enbusen auch der waffenlosen Karatekata. Ein flexibler Körper soll entwickelt werden, insbesondere eine spezielle Fähigkeit zur Wahrnehmung, Kontrolle, Trennung und getrennten Ansteuerung der Körperhälften und Körperteile. Der Körper soll lernen, nur das zu bewegen, was bewegt werden muß und keine vorzeitigen oder überflüssigen Bewegungen auszuführen. Ein Gegner soll überrascht werden, indem man durch keinerlei überflüssige Bewegungen zeigt, was man tut oder tun will. Die Bewegungen sollen verborgen werden. Dies wiederum sind Fertigkeiten für die Ausübung eines effektiven Karate. Manche Techniken sehen den eigenen Bo auch als Gegner an, den man sich hilfsweise als „länglichen Gegenstand“ vorstellen kann. Auch kann der Bo, den gegnerischen Arm repräsentieren. Den Gegner oder dessen Arm gilt es zu werfen oder abrupt zu verhebeln. Während man den Trainingspartner bei derart abrupt ausgeführten Bewegungen verletzen würde, kann man die Techniken am Bo einfach durchziehen. Es muss keine Rücksicht genommen werden, genauso, wie in der Anwendung in einem gefährlichen Notfall. Dabei wird klar, dass die Kraft, die den Bo bewegt, nicht größtenteils aus den Armen kommen sollte. Arbeitet man mit dem eigenen Körper und dessen Gelenken nicht präzise, dann bewegt sich auch der Bo eher störrisch und nicht „schneidend“ durch die Luft. Man einen Gegner nicht einfach aus der eigenen Armkraft heraus werfen. Auch im Karate will man daher möglichst viel Kraft aus der gesamten Körpermotorik schöpfen und nicht lediglich aus den Armen. Oftmals sieht man, dass Techniken hauptsächlich aus den Armen heraus ausgeführt werden.

 

Das Schwert.

Battojutsu Training mit Hamamoto Sensei auf Okinawa (siehe Kapitel „Schwert“)

Für die Shorin Ryu Linie des Karate spielt der Umgang mit dem  Schwert eine wesentliche Rolle und anhand des Sai- und Bohandlings werden die Parallelen deutlich sichtbar. Analog zur Schwerthaltung, wird der Bo fast nie in drei gleich lange Partien separiert (wie in anderen Kobudostilen üblich), sondern „lebt“ in seiner Länge zwischen den Händen. In der Regel wird das vordere Ende möglichst lang gemacht, wenn es vor in den Angriff geschickt wird. So kann man den eigenen Körper, die eigenen Vitalpunkte) weiter weg vom Kampfgeschehen halten und erhält eine größere Reichweite. Wie lang das vordere oder hintere Ende wird, ist variabel fließend und läßt so vom Gegner schlechter einzuschätzende Techniken zu.

Analogie der Bewegungen und einen Kreis durch eine Gerade ziehen (siehe Kapitel „Prinzipien“)

Zwar findet auch im Shorin Ryu Karate eine Abhärtung des Körpers statt, jedoch liegt der Schwerpunkt auf das Verbergen der eigenen Schwachstellen in der Bewegung und auf der Ausbildung einer ausserordentlich geschickten Beweglichkeit. Ist der Gegner mit einem scharfen Gegenstand bewaffnet, nützt ein abgehärteter Körper nichts. Hier hilft es, die besonders empfindlichen Körperpartien in Angriff und Verteidigung verborgen bzw. geschützt halten zu können sowie den eigenen Körper flink und flüssig bewegen zu können. Das Shorin Ryu Karate ist die Richtung des okinawischen Karate, welche von einem möglicherweise bewaffneten Gegner ausgeht und daher grossen Wert auf Körperdynamik und den Kampf schnell beendende Taktiken und Techniken legt. Wer sich für Iaido Unterricht bei der HTBU interessiert, ist hier richtig.

Analogie der Bewegungen und einen Kreis durch eine Gerade ziehen (siehe Kapitel „Prinzipien“)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Tonfa-Training.

Weitere Kobudowaffen können trainiert werden, haben jedoch keinen vergleichbar symbiotischen Einfluss auf das Karate, wie Bo oder Sai. Unser Fokus liegt daher im Kobudo auf Bo und Sai, deren ausgefeilte Bewegungsmotorik und Kata reichlich Stoff bieten, will man sie gut beherrschen lernen. Neben dem Einsatz als Waffe, kräftigt das Training mit dem Tonfa die Handgelenke für den Einsatz der Hände als Schlag (Zuki und Uraken) oder Umlenktechnik.

Shikina no Tunfa Kata